Anja ist Journalistin, Trainerin und Storytelling-Expertin. Sie unterhält sich mit Susanne darüber, was ein gemeinsamer Kulturstammtisch mit TDG bei ihr ausgelöst hat.

Vor ein paar Monaten war ich beim Kulturstammtisch in Valley eingeladen. Die Resonanz war sehr gut. Was war für dich wichtig?

Anja: Was mich fasziniert hat an dem Abend, war, dass ein sehr gebildetes Publikum nicht auch nur ansatzweise eine Zahl im Kopf hatte zu diesem Thema. Selbst bei aufgeklärten, interessierten Menschen scheint kein Bewusstsein da zu sein für den ökologischen Fußabdruck des digitalen Konsums. Die Reaktion des Publikums hat mich also beschäftigt. Da haben die Teilnehmenden wie Lehrer oder Künstler mal angefangen, sich über ihr eigenes Verhalten Gedanken zu machen. Wir brauchen also einfache, sofort umsetzbare Lösungen. Und steter Tropfen höhlt den Stein. Die wichtigen Themen sind tatsächlich, das Bewusstsein über das Nutzerverhalten zu fördern und sinnvolle, machbare Schritte im Alltag zu zeigen. Doch das Problem ist auch: Was ich nicht sehe, nehme ich nicht wahr. Das ganze Thema CO2-Fußabdruck hätte von Anfang an auf der politischen Ebene mitgedacht werden müssen. Wir springen auf ein Rennpferd auf, dem beigebracht werden soll, in Zukunft langsamer zu laufen.

Du bildest Journalist*innen aus. Wo siehst du einen Platz für TDG?

Anja: Da ist noch viel Luft nach oben. Ich will ein Beispiel nennen, wie ich mir das vorstellen könnte: So wie man auf feuerpolizeiliche Vorschriften zu Beginn eines Seminars hinweisen muss, so sollte man zu Beginn einer jeden Fortbildung auf die Auswirkungen unseres digitalen Verhaltens aufmerksam machen. Dazu sollten einige Zahlen genannt werden und Hochrechnungen bezüglich des Energie­ver­brauchs während der Veranstaltung. Also Bewusstsein schaffen, meine ich.
Das sollte auch genauso in Schulen passieren. Spätestens ab weiterführenden Jahrgängen muss dieser Zusammenhang in allen Lehrplänen präsent sein, gerade auch in Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung des Unterrichts. Wie gehen die Medien damit um? Hier ist Nachholbedarf! Im Rahmen der Rubrik Klimakrise bei Spiegel Online sieht man den Bericht zur Klimasituation des Planeten. Die Info­grafiken zeigen, wieviel Prozent Ökostrom wir nutzen, wieviel Prozent des arktischen Eises schmelzen usw. mit Hintergrund­informationen und Quellen. Ich fordere: Solche guten Berichte sollten den digitalen Fußabdruck genauso selbstverständlich integrieren.

Dein E-Mail-Absender weist auf den CO2-Verbrauch einer jeden E-Mail hin. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bildung von Bewusstsein. Hast du dazu Reaktionen bekommen?

Anja: Ja, es gab Nachfragen, ob das so stimmt. Es wurde fast wie eine Provokation empfunden, auch ein Sich-Ertappt-Fühlen kam zum Ausdruck. Und mein eigenes E-Mail-Verhalten wurde kritisch hinterfragt, das hat mich nochmal voran gebracht. Es fällt mir tatsächlich im Alltag schwer, etwas zu verändern. Wie mag es Leuten gehen, die sehr eingefahrene Muster haben?

Du hast mir von der neuen Wilderness erzählt. Was bedeutet das für dich?

Anja: Die neue Wilderness ist eine Metapher für Naturräume, aus denen der Mensch sich völlig und vor allem freiwillig zurückzieht. Die Wilderness-Regionen sind ein Schlüssel zur „Heilung“ einer zerstörten Natur.

Wo entsteht der Zusammenhang mit der digitale Alltagswelt?

Anja: Der freiwillige, selbstbestimmte und selbstverantwortliche Rückzug aus dem uferlosen und ständigen Treiben der Digitalisierung schärft wieder unsere Achtsamkeit und unsere Selbstwahrnehmung. So wie in der Wilderness Freiräume für die Natur entstehen, entwickelt sich für uns durch den Verzicht ein Freiraum in uns selbst. Und das ist wichtig für die Würde, die Lebensqualität, die Gesundheit der Menschen. Ich habe mir fest vorgenommen, einen Tag in der Woche auf jeglichen digitalen Konsum zu verzichten. Stell dir mal vor, was das bedeuten könnte, wenn wir alle das täten. Nur einmal in der Woche freiwillig verzichten! Wenn wir uns aus dem Automatismus des On-Seins herausnehmen, kann Rückzug entstehen. Dann kann sich überhaupt zeigen, was digitale Frei-Räume für uns bedeuten können.

Dann unterhalten wir uns das nächste Mal auch über deine Erfahrung des freiwilligen Verzichts. Hast du eine Empfehlung an uns?

Anja: Kommunikation zu schaffen, die berührt. So, wie du es im Kulturstammtisch erreicht hast. Deine Bildsprache ging auf jeden Fall in diese Richtung.